INTERVIEW mit Prof. Gerhard Kongehl: Gesetze ohne Wert

Unser Rechtssystem droht beim Datenschutz zu versagen. Strafen oder Verbote lassen sich nicht mehr durchsetzen, sagt Prof. Gerhard Kongehl, Vorsitzender des Berufsverbands der Datenschutzbeauftragten. Er bildet an der Fachhochschule Ulm Datenschützer aus.

MARTIN HOFMANN



Gerhard Kongehl:
Politiker regulieren an den Problemen vorbei.
25 Jahre Datenschutz in Deutschland. Wie sieht Ihre Bilanz aus?
 
GERHARD KONGEHL: Obwohl die elektronische Datenverarbeitung so gestaltet sein muss, dass sie dem Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes entspricht, ist der Datenschutz in der Gesellschaft noch immer kein allgemein anerkanntes Ziel. Dazu kommen Widerstände: Die innere Sicherheit und die Interessen der Privatwirtschaft kollidieren mit den Zielen des Datenschutzes. Auch aus diesem Grund haben wir zum Beispiel in der Privatwirtschaft Baden-Württembergs und Bayerns keine wirksame Datenschutzkontrolle.


Der Bürger überlässt Dritten immer mehr Daten. Ihr Schutz hat dennoch keine Konjunktur. Warum?

 
KONGEHL: Über den maschinenlesbaren Personalausweis oder die Volkszählung gab es große Diskussionen. Heute geht es um sehr viel weitreichendere Eingriffe, doch kaum jemand kümmert sich darum. Es lässt sich etwa jederzeit feststellen, wo sich ein Handynutzer aufhält. Aber das Gerät ist ja auch ein Spielzeug, ein Prestigeobjekt. Da rangiert das Lustprinzip vor der Wahrung individueller Freiheit.
 
Im Gesundheitswesen muss Transparenz herrschen, fordern Reformer. Auf einer Patientenkarte sollen Krankheitsdaten gespeichert werden. Ist da Schutz noch möglich?

 
KONGEHL: Die Interessen der Datenschützer und derjenigen, die solch eine Karte haben wollen, kriegen wir nicht unter einen Hut. Das Recht des Einzelnen, selbst zu bestimmen, wem er welche Daten preisgibt, wird mit der Gesundheitskarte unterlaufen. Der Kartenbesitzer weiß nicht, welche Informationen der Arzt oder andere Nutzer herunterlesen. Das Problem lässt sich nicht lösen, selbst wenn die Karte nur auf freiwilliger Basis eingeführt wird. Denn es gibt auch einen freiwilligen Zwang. Wenn Sie etwa im Wartezimmer eines Arztes ohne Abgabe der Karte länger warten müssen, werden sie diese benutzen.
 
Ist unser Rechtssystem noch in der Lage, die Selbstbestimmung der Bürger über die eigenen Daten sicherzustellen?

 
KONGEHL: Das klassische Recht greift in der Datenverarbeitung nicht mehr. Ein Täter, der dort unrechtmäßig handelt, ist nach Außen nicht erkennbar. Die Folge: Straftaten lassen sich kaum verfolgen. Es fehlt zudem ein Unrechtsbewußtsein. Viele Leute kopieren Software, ohne sich schuldig zu fühlen. Dabei handelt es sich um eine Straftat, die im schweren Fall mit mehrjähriger Haft geahndet werden kann.
 
Politiker fordern ein Gendatengesetz. Es soll den Einblick Dritter in das Erbgut eines Menschen verhindern. Geht das mit Verboten?

 
KONGEHL: Man kann die Nutzung von Gendaten einschränken, die Weitergabe verbieten. Doch wer kann kontrollieren, dass sich alle daran halten? So soll untersagt werden, dass der Arbeitgeber Daten über mögliche Erbdefekte erhält. Ein Arbeitsplatzbewerber kann aber freiwillig Einsicht in sein Erbgut gewähren. Gegen solch ein Vorgehen lässt sich juristisch nichts unternehmen.
 
Sind technische Mittel eine Alternative?

 
KONGEHL: Man könnte die unrechtmäßige Weitergabe verhindern, indem man die Daten verschlüsselt. Den Schlüssel dafür dürften dann nur bestimmte, unabhängige und kontrollierbare Institutionen in Händen halten. Das könnte sehr aufwendig sein. Es wäre einerseits eine Chance, gesetzlichen Regelungen mehr Erfolg zu verschaffen. Andererseits könnten dann aber über die Schlüsselverwaltung neue Überwachungsmöglichkeiten entstehen. Das wird also immer ein Hase-Igel-Spiel bleiben.
 
Nehmen die Politiker diese Rechtsprobleme wahr?
 
KONGEHL: Überhaupt nicht. Wer die heutige Gesetzgebung anschaut, muss feststellen, dass dort mit Informatik-Begriffen gearbeitet wird, die kein Informatiker versteht. Die Juristen in der Politik entwickeln immer noch eine eigene Datenverarbeitungswelt und meinen, sie könnten die Dinge regulieren. Sie denken aber an den eigentlichen Problemen vorbei.


Erscheinungsdatum: Dienstag 04.02.2003